Tod nach Behandlungsfehler
Seit zweieinhalb Jahren ist ihr Mädchen nicht mehr da. „Geld macht unsere Leni nicht wieder lebendig“, sagt Matthias Hoffmann (47, Name geändert). Klar, wen interessiert schon Geld, wenn das eigene Kind tot ist? Der Vater: „Es geht uns nur darum, dass anerkannt wird, was Leni und was wir durchgemacht haben.“ Durchmachen mussten. Aufgrund von Behandlungsfehlern im Krankenhaus. Leni starb mit fünf Jahren an den Folgen einer Lungenentzündung, die im St. Marien Hospital Vechta (Niedersachsen) zu spät erkannt worden war. Obwohl Lenis Eltern die Ärzte immer wieder angefleht hatten, ihr schwer hustendes Kind endlich röntgen zu lassen. Ein Gutachten der Staatsanwaltschaft Oldenburg stellte fest, das Kind habe durch die verschleppte Diagnose die Antibiotika gegen die Infektion mindestens eineinhalb Tage zu spät erhalten. Es sei „anzunehmen, dass der Tod (…) bei korrekter Behandlung mit hoher Wahrscheinlichkeit vermieden worden wäre.“
Heute warten die Eltern noch immer auf ein Angebot der Versicherung des Krankenhauses, das sie akzeptieren können. Insgesamt 19 000 Euro bietet die R+V-Versicherung außergerichtlich an. Die R+V schreibt, diese Summe sei nicht verhandelbar.
R+V-Sprecher Karsten Eichner erläutert gegenüber BILD am SONNTAG, der Großteil der Summe sei für den „materiellen Schaden“ gedacht. 8500 Euro für die nachgewiesenen Beerdigungskosten. 4000 Euro – nach Einreichung entsprechender Belege – als Entschädigung für die Eltern. Sie hatten nach Lenis Tod unter anderem durch die Behandlung in einer psychosomatischen Reha-Klinik Verdienstausfälle. Die Versicherung der Klinik setzte als Schmerzensgeld für das Leiden des Kindes 6500 Euro an. „Angesichts des Leidensweges des Kindes ein Schlag ins Gesicht der Eltern“, sagt Patientenanwältin Sabrina Diehl (36) aus Marl (NRW). Sie vertritt die Familie. Klar: Wer will schon auf den Euro bemessen, was das Leben eines Kindes wert ist? Anwältin Diehl zieht einen Vergleich: „Wenn in Deutschland an einer Sache, zum Beispiel einem Auto, ein Schaden entsteht, wird schnell bezahlt, anstandslos auch Zehntausende Euro.“ Ein Gutachten wird erstellt, ein Gericht entscheidet, die Schadenssumme wird beglichen. So wie in dieser Woche, als das Landesgericht Gießen 5100 Euro dem Kläger zusprach, weil ein Esel den Lack seines Sportwagens beschädigt hatte.
Bei der Frage, welcher „Schaden“ durch den Verlust eines Menschen entsteht, da tun sich deutsche Gerichte schwer. Anwältin Diehl: „Das muss sich ändern.“
Schmerzensgeld „für das familiäre Leid von Angehörigen sieht der deutsche Gesetzgeber, anders als beispielsweise in den USA, nicht vor“, so R+V-Sprecher Eichner zu BILD am SONNTAG. Das stimmt für den Fall Leni, der über zwei Jahre zurückliegt. Inzwischen hat sich die Rechtslage geändert. Seit Juli ist im Bürgerlichen Gesetzbuch der Paragraf 844, Absatz 3 in Kraft. Das sogenannte Hinterbliebenengeld. Werden Ehepartner, Kinder oder ein Elternteil durch einen Unfall oder auch einen Behandlungsfehler getötet, hat der Verursacher „dem Hinterbliebenen für das seelische Leid eine angemessene Entschädigung in Geld zu leisten.“
Das bedeutet eine große Erleichterung für nahe Angehörige: Sie müssen nicht erst durch Atteste beweisen, dass sie leiden. Es versteht sich von selbst. In anderen EU-Ländern gibt es sogar ein pauschales Trauer-Schmerzensgeld, in Italien zum Beispiel 50 000 Euro. Der deutsche Gesetzgeber dagegen hat sich gescheut, eine konkrete Summe zu nennen. Die Gerichte werden von Fall zu Fall entscheiden müssen, was „angemessen“ ist. Für den Fall Leni gilt das neue Hinterbliebenengeld noch nicht. Anwältin Sabrina Diehl will dennoch Klage gegen die Versicherung einreichen.