Gewalt in der Geburtshilfe: "Ich habe mich gefühlt wie ein Stück Fleisch"
Die Geburt eines Kindes ist anstrengend, aber auch schön. Für Marie war es traumatisch, das Vorgehen einer Hebamme hat sie als Gewalt empfunden. Sie ist mit dieser Erfahrung nicht allein.
Reportage von Sarah Bötscher.
Sabrina Diehl, Fachanwältin für Medizinrecht, klärt in diesem Podcast über rechtliche und juristische Möglichkeiten für Betroffene Frauen wie Marie auf [06:45 Minute & 16:46 Minute].
Auszug aus dem Podcast:
Behandlungsfehler schwer nachzuweisen
Aber wie oft passiert Gewalt in der Geburtshilfe überhaupt? Verlässliche Zahlen zu finden, ist schwierig. Nach Recherchen von MDR AKTUELL kennen befragte Kliniken in Halle, Erfurt, Magdeburg, Jena, Dresden und Leipzig angeblich keine Fälle – auch nicht die mitteldeutschen Landesärztekammern. Doch eine Studie der Psychologischen Hochschule Berlin aus dem Jahr 2020 zeigt, dass mehr als jede dritte Befragte allein physische Gewalt unter der Geburt erlebt hat. Bei einer Umfrage des "Stern" mit 10.000 Frauen geben sogar mehr als die Hälfte Gewalterfahrungen an.
Frauen, die mit ihren Erfahrungen vor Gericht ziehen, betreut Sabrina Diehl in Herne in Nordrhein-Westfalen. Sie kämpft dafür, die Zahlung von Schmerzensgeld durchzusetzen. Häufig sei es jedoch schwer, Behandlungsfehler nachzuweisen – vor allem, wenn es um psychische Schäden der Mütter gehe. Vor Gericht stoße sie auch manchmal auf Unverständnis.
"Was meinen Sie, was es denn wert ist, wenn Ihnen jemand ungefragt die Finger in die Vagina schiebt?"
Sabrina Diehl Rechtsanwältin
"Das Gericht meinte dann: Ja aber Frau Diehl, wo ist denn jetzt das Problem?", erzählt die Rechtsanwältin. "Ich dann: Naja, es ist ein Eingriff gemacht worden, der nicht von einer Einwilligung gedeckt war. Und das Gericht: Also welcher Schaden ist denn da jetzt entstanden, was soll das denn an Schmerzensgeld wert sein? Da habe ich gesagt: Ich formuliere das mal anders. Was meinen Sie, was es denn wert ist, wenn Ihnen jemand ungefragt die Finger in die Vagina schiebt?"
Eine Lösung: Mehr finanziellen Druck auf Kliniken?Doch wie kann Gewalt in der Geburtshilfe in Zukunft verhindert werden? Die Hebamme Ines Hoffmann sieht eine große Chance im "hebammengeleiteten Kreißsaal". Dort haben allein Hebammen das Sagen – Ärztinnen und Ärzte kommen nur dazu, wenn sie darum gebeten werden. So könne alles in einer Hand bleiben, sagt Hoffmann, und ein Raum geschaffen werden, in dem Frauen sich sicher fühlen würden. Die Anwältin Sabrina Diehl kritisiert vor allem, dass die Schmerzensgeld-Beträge noch viel zu niedrig seien. Wenn dieser Druck größer wäre, seien die Kliniken auch gezwungen, etwas zu ändern.
Für Marie bleibt die Geburt ihres Sohnes eine Erinnerung, die sie noch aufarbeiten will. Anderen Müttern rät sie, gut die eigenen Rechte zu kennen: "Man sollte sich bei bestimmten Sachen bewusst sein, dass sie nicht okay sind. Und dann kann man vielleicht der Begleitperson sagen: Kannst du bitte schauen, dass sie mich über Medikamente oder Handgriffe aufklären. Und dass deine Person, weil du natürlich mit den Wehen und dem Schmerz beschäftigt bist, für deine Rechte einsteht. Das ist glaube ich total wichtig."
Rechte: Mitteldeutscher Rundfunk