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Frau Diehl, welche Rechte hat eine Gebärende überhaupt im Kreißsaal?
Wenn eine Frau zur Geburt ins Krankenhaus kommt, dann schließt sie mit dem Krankenhaus einen Behandlungsvertrag. Das ist ein ganz normaler Vertrag, genauso wie wenn man in einem Geschäft Kleidung kauft. Damit verpflichtet sich die Klinik dazu, die Patientin nach dem gültigen Facharztstandard zu behandeln. Sprich: Es sind sämtliche medizinische Maßnahmen zu ergreifen, die dem aktuellen Stand der Erkenntnisse entsprechen. Platt gesagt heißt das: Mein Recht als Patientin ist eine vertragsgemäße Erfüllung. Zusätzlich hat eine Frau bei der Geburt ein Mitspracherecht. Im Rahmen einer Behandlung gibt es oft verschiedene Möglichkeiten. In solchen Fällen müssen diese Möglichkeiten mit der Patientin besprochen werden
Aber ist es überhaupt möglich, vor jedem medizinischen Eingriff ausführlich über die Maßnahmen aufzuklären?
Klar ist: Je dringender eine Maßnahme eingeleitet werden muss, um die Gesundheit des Kindes und der Mutter nicht zu gefährden, desto geringer sind auch die Anforderungen an das Gespräch. Das würde sonst im Alltag gar nicht funktionieren – sonst ist das Kind mitunter schon gestorben bevor ordnungsgemäß aufgeklärt wurde. Das heißt, Patient:innen müssen im Groben und Ganzen wissen, was mit ihnen passiert, aber letztendlich bleibt im praktisch gelebten Alltag die Entscheidung, was sinnvolle Maßnahmen sind, bei den Ärzt:innen.
Wo kann man da rechtlich eine Grenze ziehen? Ab wann beginnt juristisch gesehen Gewalt?
Das ist schwierig, denn den Gewaltbegriff gibt es strenggenommen im Zivilverfahren nicht. Wenn, dann kommt der im Strafrecht vor und bedeutet „das Zufügen von Leid körperlicher oder seelischer Art“. Das ist aber bei jedem ärztlichen Handeln gegeben. Das heißt, sobald der/die Ärzt:in das Skalpell ansetzt, ist das letztendlich ein Gewaltakt und stellt einen Körperverletzungstatbestand dar. Das Ganze wird aber natürlich strafrechtlich nicht verfolgt, wenn diese Körperverletzung von einer Einwilligung gedeckt ist und dem aktuell geltendem Facharztstandard entspricht. Einfacher ausgedrückt: Wenn dir jemand ins Gesicht boxt, ist das eine Körperverletzung. Wenn du aber bewusst in einen Boxring steigst und damit dem Risiko einwilligst, einen Schlag abzubekommen, dann besteht keine Strafbarkeit, weil es von einer Einwilligung gedeckt war.
Mal angenommen: Bei einer Gebärenden wurde ein unangekündigter Dammschnitt durchgeführt, der nicht von einer Einwilligung gedeckt war. Welche rechtlichen Möglichkeiten hätte diese Patientin, um gegen die Klinik oder das geburtshilfliche Personal vorzugehen?
Solche Patientinnen können Schadensersatzansprüche und Schmerzensgeld durchsetzen – vorausgesetzt, es ist ein Schaden entstanden. Immer wieder gibt es Abläufe in Kliniken, wo man sagt: Na ja, so war das zwar nicht richtig, aber wenn kein Schaden entstanden ist und ärztliches Handeln keine Konsequenzen mit sich bringt, bringt es vor Gericht nichts. Die Überlegung Was hätte passieren können? zählt an der Stelle nicht. Das ist, wie wenn dir jemand im Straßenverkehr die Vorfahrt nimmt, du aber noch rechtzeitig bremsen konntest. Für das Beispiel des Dammschnitts können Sachverständige häufig zum einen später nicht die ärztliche gestellte Indikation selbst überprüfen. Zudem ist auch nicht gesichert, dass nicht ohne Dammschnitt ein Dammriss durch den natürlichen Geburtsvorgang entstanden wäre. Die medizinischen Meinungen, was für Folgen dies für die Patientinnen hat, gehen da auch teilweise auseinander.
Das heißt, Sie müssen auch immer wieder Anfragen ablehnen, weil kein Schaden entstanden ist?
Ja. Ich kann das menschlich total nachvollziehen, dass sich Patientinnen aufregen über Abläufe während der Geburt, aber wenn kein Schaden entstanden ist, kann man da leider zivilrechtlich nichts machen. Generell ist es schwierig im Bereich der Geburtshilfe, denn das Problem ist: Heutzutage wird verständlicherweise ein immer sensiblerer Umgang erwartet und das, was von geburtshilflichem Personal gefordert wird, kann oft im praktischen Alltag einfach nicht geleistet werden. So wird auch mal moniert, dass beispielsweise die Ärzt:innen unfreundlich und unsensibel waren – Das ist natürlich wichtig, aber vertraglich nicht geschuldet. Deshalb sag ich mal so salopp: Die Rechtsprechung schützt uns nicht davor, dass wir unfreundlichen und unsensiblen Menschen über den Weg laufen.
Wenn nun aber feststeht: Hier wurde falsch behandelt, es ist ein Schaden entstanden und Betroffene können Schmerzensgeld durchsetzen. Wie viel Geld ist eine gewaltvolle Geburtserfahrung wert?
Das ist tatsächlich immer eine Einzelfallentscheidung. Es kommt auf das konkrete Schadensausmaß aber auch auf das Gericht sowie auf die Präsentation des Sachverhalts an. Deshalb rede ich mit dem Gericht Tacheles. Da kommt vielleicht auch ein bisschen meine Ruhrpott-Schnauze durch, dass ich nicht nur Diagnosen mitteilen, sondern auch
mal erkläre, was das denn konkret bedeutet. Ich hatte das erst neulich bei einem Verfahren, mit dem Vorwurf, dass wahnsinnig viele vaginale, medizinisch nicht indizierte Untersuchungen gemacht worden sind, teils ohne dass sich die Ärzt:innen vorher vorgestellt haben. Da fragte mich dann die Richterin: „Na gut, Frau Diehl, was meinen Sie denn, was das an Schmerzensgeld wert ist?“ Ich sagte dann: „Ich stell die Frage mal anders: Was ist es Ihnen wert, wenn Ihnen jemand ungefragt zwei Finger in die Vagina schiebt?“ Und dann war Stille im Raum. Ich habe mich zwar im Nachhinein für meine Wortwahl entschuldigt, aber ich musste es einfach mal deutlich machen, denn eine vaginale Untersuchung klingt so technisch und beschreibt nicht das, was es tatsächlich ist.
Das heißt, Sie würden sagen, dass das Bewusstsein für das Thema in Ihrem beruflichen Umfeld teilweise noch zu gering ist?
Ja, weil es einfach so schwer vorstellbar ist. Deswegen werden auch meines Erachtens immer noch deutlich zu niedrige Schmerzensgeldbeträge zugesprochen, weil Menschen, die nicht betroffen sind, nicht wissen, was der Gesundheitsschaden tatsächlich im Alltag, in der Freizeit, im Familien- und Arbeitsleben nach sich zieht. Ich finde es wichtig, diese Folgen deutlich zu schildern, was nicht bedeutet, dass das immer erfolgreich ist. Oft genug rede ich mir den Mund fusselig und trotzdem sagen die Gerichte: Wir wollen das nicht ausarten lassen, warum auch immer.
Vor Gericht steht dann vermutlich oft Aussage gegen Aussage, Gebärende gegen Krankenhauspersonal. Wie kann es in solchen Situationen gelingen, die Belange der Betroffenen durchzusetzen?
Es ist in der Tat schwierig für Betroffene, denn grundsätzlich ist es so, dass die Patientinnen die volle Darlegungs- und Beweislast tragen. Das heißt: Beweismängel gehen zulasten der Patientin. Beweise können zum Beispiel Zeug:innen sein, die bei einer Geburt ja im Regelfall dabei sind. Ich würde immer empfehlen ein Gedächtnisprotokoll anzufertigten, WhatsApp-Nachrichten, in denen über die Behandlungsfehler berichtet wird, aufzubewahren, oder Fotos zu machen, etwa von Wunden nach dem Kaiserschnitt. Und generell kann ich allen Frauen raten, nicht blauäugig in die Geburt zu gehen, sondern kritisch nachzufragen und zu verstehen, was passiert. Das halte ich für wichtig und darauf haben Patientinnen einen Anspruch.
Was würden Sie Frauen raten, die Gewalterfahrungen erleben mussten, sich aber nicht trauen, rechtliche Schritte zu gehen?
Ich würde immer empfehlen, wenn sie den Mut fassen, sich zumindest einmal rechtlich beraten zu lassen – am besten direkt bei Fachanwält:innen für Medizinrecht. Ob man den Schritt vor Gericht dann geht, kann man nach individueller Beratung über die Chancen und Risiken entscheiden. Und selbst wenn dann schon die anwaltliche Beratung ergibt, dass während der Geburt nicht alles gut gelaufen ist, aber kein Schaden entstanden ist, können viele mit dem Thema schon abschließen – diese Erfahrung habe ich erst diese Woche wieder mit einer Mandantin gemacht.
Gibt es etwas, dass sich Ihrer Meinung nach rechtlich ändern muss, um Gewalt unter der Geburt entgegenzusteuern?
Nein, die gesetzlichen Grundlagen haben wir bereits. In Deutschland sagen wir: Alles, was nicht dem Facharztstandard entspricht und/oder nicht von einer wirksamen Einwilligung gedeckt ist, ist eine Körperverletzung. Die Frage ist natürlich immer noch, ob man die Beweislast umkehren sollte, so wie in Amerika. Das würde bedeuten, dass Ärzt:innen beweisen müssen, dass sie alles richtig gemacht haben und nicht dass Patient:innen beweisen müssen, falsch behandelt worden zu sein. Ich bin mir aber unschlüssig, ob ich so ein System haben will, denn grundsätzlich halte ich das schon für richtig, dass man sagt: Na ja, die Ärzt:innen können keinen Erfolg garantieren. Ich würde mir allerdings wünschen, dass die Sicherungssysteme bei der Dokumentation etwas strenger wären, also dass leichter nachvollzogen werden kann, wer das Dokument wann aufgerufen und verändert hat. Verstöße hiergegen sollten sanktioniert werden, unabhängig von einem Behandlungsfehlerprozess. Das ist zwar gesetzliche Vorgabe, wird allerdings meines Erachtens in den Gerichten aktuell noch nicht hinreichend genug beachtet und ich muss echt oft noch kämpfen und teilweise Gerichte erst mal aufklären, was eine Dokument-Historie ist, was ich echt bedauerlich finde.